Ein Dornröschen in Deutschland, Kinderprostitution, Eltern verkaufen ihre Kinder. Ein modernes Märchen, Poesie. 45. Teil: Brief an das Haus
Ich weiß nicht, ob dich diese Briefe erreichen werden, alles ist ungewiss. Während ich die Geschichte des Dornröschens hörte, wünschte ich mir oft zu wissen, was als nächstes geschehen würde. Es reichte mir nicht, wenn die Fliege oder das Sonnenhaus mir manchmal Hinweise gaben. Ich hätte gerne einen genauen Plan bekommen, mit was ich wann und wo zu rechnen habe und was ich dann tun muss.
Als das Huhn nicht aufhörte, gegen meine Schlafzimmertür zu treten und herumzuschreien, schrieb ich einen Brief an das Sonnenhaus. Wenn es scheinbar aus dem Nichts heraus Zettel auf meinem Sofa oder in meinem Kühlschrank platzieren konnte, musste ich dann nicht auch irgendwie Kontakt mit ihm aufnehmen können, Fragen stellen können?
Brief an das Sonnenhaus: Ich weiß, dass du mehr weißt als ich. Du weißt, was ein Huhn frisst, du weißt, dass es gerne möglichst hoch oben auf einer Stange sitzt. Was soll ich mit einem Huhn anstellen, das sich für ein Superhuhn hält und alle Macht an sich reißen will? Die Fliege sagt mir immer wieder, ich solle ruhig bleiben, aber das hilft mir nicht. Und wenn ich jetzt schon keinen Weg finde, mit dem Huhn umzugehen, wie soll ich dann mit dem Hund fertig werden? Ich will gar nicht darüber nachdenken, welche Tiere noch kommen werden! Wie lange wird das alles dauern? Warum passiert das mir? Ich habe nicht darum gebeten, der Fliege zu begegnen. Ich wollte nur, dass der Sturm aufhört, ich wollte, dass die Bäume wieder Blätter und Früchte tragen. Was ist das für ein Leben, das ich führe? Ich soll hier nur sitzen und allen möglichen Tieren zuhören. Wo soll das hinführen? Wird dem Dornröschen irgendwie dadurch geholfen? Es gibt auch noch andere Fragen, ich weiß gar nicht, ob ich sie stellen will. Du warst nicht immer ein Sonnenhaus, was warst du vorher, wer war ich vorher?
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